Zukunft der Arbeit - Artikel von Daniel Arcularius

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Zukunft der Arbeit

Schritt für Schritt in den Möglichkeitsraum.

Nach dem Digitalisierungsschub in der Corona-Pandemie dürfen die Unternehmen nicht nachlassen, die Zukunft der Arbeit auszugestalten. Aber wie? „Revolution!“, rufen so manche Schlagzeile und manche Studie. Doch mit radikalen Veränderungen würden sich viele Unternehmen überfordern. Ihre Aufgabe besteht vielmehr darin, den Hype zu durchschauen und ein adäquates, aber beherrschbares Tempo der Veränderung zu finden.

Sep 23, 2021 10:54:22 AM

Wo aber beginnen? Am besten bei den Begriffen „Digitalisierung“ und „digitale Transformation“. Sie werden häufig als Synonyme genutzt, sind aber keine. Sich ihre jeweilige Bedeutung klarzumachen und daran den Digital-Status des Unternehmens zu ermessen, ist deshalb ein guter Startpunkt. Eine bewusste Unterscheidung hilft Unternehmen, sich aufs Wesentliche zu konzentrieren. Und sie schützt vor der irreführenden Illusion, bereits genug getan zu haben.

 

Begriffsklärung 1: Digitalisierung

Digitalisierung bedeutet nicht mehr, als dass bisher analog oder nur teilweise digital laufende Prozesse komplett in Netzwerke, in die Cloud, auf Computer und digitale Kommunikationssysteme verlagert werden. Das Unternehmen arbeitet digitaler, hat sich aber in seinem Kern und in den Geschäftsmodellen nicht wesentlich verändert.

Die „Zwangsdigitalisierung“ im Kontext der Corona-Schutzmaßnahmen hat in vielen Unternehmen genau diesen Effekt bewirkt: digital ja, wirklicher Change nein. Sprich keine konkrete digitale Transformation, die ge- und betrieben wird und das Unternehmen damit nachhaltig verändert, um es auf die zukünftigen Herausforderungen im digitalen Wandel vorzubereiten. Fast alle Mitarbeiter können jetzt Videokonferenzen abhalten und aus dem Homeoffice arbeiten.

Das ist, gemessen an der digitalen Trägheit der vorangegangenen Jahre, ein großer Schritt nach vorne. Aber er wird nicht reichen, um die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu sichern. Und wer Digitalisierung nur unter dem technologischen Aspekt versteht, droht auch in eine Falle zu tappen, die der Manager Thorsten Dirks, damals CEO von Telefónica Deutschland, auf einem Wirtschaftskongress vor Jahren mit den nachhallenden Worten beschrieben hat: „Wenn ich einen Scheissprozess digitalisiere, habe ich einen scheiss digitalen Prozess.“

 

Begriffsklärung 2: Digitale Transformation

Hingegen zielt „digitale Transformation“ weiter – nämlich auf ein grundlegend neues Verständnis des Unternehmens, der Kunden und der Märkte. Geschäftsmodelle für den digitalen Raum, ein digitales Mindset und digitale Arbeitsmethoden sowie eine positive Kultur der Veränderung sind Kennzeichen einer echten Transformation.

Dieser Zug ist längst unterwegs. Die rasante Entwicklung digitaler Technologien wird von manchen Start-ups, Plattform-Anbietern und Industriekonzernen so schnell adaptiert, dass sich auch das Kundenverhalten in hohem Tempo verändert. Der Zug mag vielleicht noch an der einen oder anderen Station halten, aber grundsätzlich beschleunigt er immer weiter auf seiner Reise, die keine Endhaltestelle kennt. Digitale Transformation, und auch das unterscheidet sie per definitionem von „Digitalisierung“, ist kein Projekt, sondern ein Dauerzustand. Es gilt jetzt, einen guten Zeitpunkt zu finden, um noch zuzusteigen und die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.

Selbst Unternehmen, die weitgehend analoge Produkte oder Services anbieten, müssen in Technologie, Prozessen und Haltung dem Rhythmus der digitalen Sphäre folgen. Nur so erwerben sie die notwendige Flexibilität und Geschwindigkeit, nur so bleiben sie in ihrer Wertschöpfungskette anschlussfähig und können Paradigmenwechsel in den Märkten und im Verhalten der Kunden antizipieren und für sich nutzen. New Work und Agilität sind auch für sie die Betriebsmodi der Zukunft und keineswegs auf Unternehmen und Start-ups mit digitalen Geschäftsmodellen beschränkt.

 

Spektakuläre Szenarien

Es liegt auf der Hand: Unternehmen benötigen für diesen permanenten Wandel Führungskräfte, Mitarbeiter und Teams, die über ganz andere Fähigkeiten und Kompetenzen verfügen als noch vor wenigen Jahren. Vor diesem Hintergrund werden teils spektakuläre Szenarien entworfen, wie sich die Mitarbeiter entwickeln oder wie sie qualifiziert werden sollten.

Das McKinsey Global Institute hat beispielsweise in einer Studie 18.000 Menschen in 15 Staaten dazu befragt. Im Ergebnis wurden nicht weniger als 56 grundlegende Fähigkeiten identifiziert, die für die Arbeitswelt von morgen essenziell sind:

Zukunft der Arbeit - Artikel von Daniel Arcularius

Das „Big Picture“ – Diese Fähigkeiten bestimmen laut einer aktuellen McKinsey-Studie die Zukunft der Arbeit.
Grafikerstellung: Allfoye Managementberatung GmbH mit Unterstützung durch Veit Quandt.

 

Jeder einzelne Punkt, den McKinsey in vier Kompetenzfeldern und 13 Kategorien zusammengetragen hat, ist für sich genommen nachvollziehbar. Ja, natürlich, die kognitiven Fähigkeiten der Menschen sind zunehmend gefragt. Kritisches Denken, agile Führungs- und Arbeitsmethoden, eine hohe mentale Beweglichkeit und kommunikative Kompetenzen zeichnet leistungsfähige Mitarbeiter aus. Wer wollte dem widersprechen? Im zwischenmenschlichen Umgang müssen Beziehungen entwickelt und das Teamwork gestärkt werden. Auch das steht außer Frage. Gleiches gilt für den Umgang mit Technologie. Software und Systeme müssen wie selbstverständlich verstanden und genutzt werden. Und, last but not least, sollten sich die Menschen im Unternehmen selbst und gegenseitig führen können. In modernen, hierarchie-armen Organisationen ist im Zweifel niemand mehr da, der ihnen sagt, woran sie als Nächstes arbeiten sollten. Ein achtsamer Umgang mit sich selbst, ein unternehmerisch geprägtes Mindset und eine beharrliche Zielorientierung sind dafür unabdingbar.

So anspruchsvoll gestaltet sich die Zukunft der Arbeit. Der Punkt ist: Keine Organisation kann in diese neue Welt einfach hinüberspringen. Die Komplexität und die schiere Größe des Themas wirken mitunter sogar lähmend. Weder können Mitarbeiter all diese Fähigkeiten in kurzer Zeit entwickeln, noch erreicht eine Belegschaft in einem überschaubaren Zeitraum ein solches Qualifizierungsniveau. In manchen Unternehmen, deren Kultur einen radikalen Schnitt einfach nicht zulässt, zeigen sich deshalb leise Anzeichen von Panik. Was ist aber die Lösung? Die Antwort lautet: anfangen. Vor den Unternehmen liegt in Wahrheit keine Hürde, die selbst mit größter Anstrengung kaum zu überwinden ist, sondern ein Möglichkeitsraum. Es geht darum, einzutreten und herauszufinden, welche Chancen sich in der digitalen Transformation für die Menschen und das Unternehmen ergeben.

 

Collaboration hub als Schlüssel

Während der Corona-Pandemie haben sich die Plattformen für die digitale und vernetzte Zusammenarbeit in den Unternehmen rapide weiterentwickelt. Ihre Akzeptanz ist gestiegen. Als „Collaboration Hubs“ vereinen Lösungen wie Microsoft Teams, Google Worksuite oder Slack alle notwendigen Funktionen. Sie bündeln und strukturieren die Kommunikation, er-höhen die Transparenz der Prozesse und Projekte, erhöhen die Flexibilität für jeden Einzelnen und für Teams, erleichtern die Periodisierung und Steuerung. Sie unterstützen die selbstbestimmte wie effiziente Zusammenarbeit von stationären wie hybriden Teams und haben einen direkten Einfluss auf die betriebswirtschaftlichen Kennziffern. Man denke nur an die sinkenden Kosten für Raummieten, Reisen und Übernachtungen.

Die Möglichkeiten dieser Programme sind immens, über einfache Schnittstellen und Integrationen lassen sich problemlos weitere Apps und ERP-Systeme wie SAP S/4HANA einbinden. Doch auch hier ist es für viele Unternehmen angesagt, einen Schritt nach dem anderen zu gehen. Sobald die Chat- und Videofunktionen von, zum Beispiel, Microsoft Teams, gelernt sind, kann eine Organisation dazu übergehen, die Daten zentral zu speichern und gemeinsam zu nutzen. Als Nächstes nimmt man den Planner hinzu, um die Arbeitsabläufe besser zu koordinieren und eine geteilte Sicht auf die Projekte zu ermöglichen. Nach und nach werden weitere Funktionen aktiviert und die ersten Abläufe mit „Power Automaten“ automatisiert …

Mit dieser Vorgehensweise verändert sich eine Organisation nicht schlagartig, aber doch kontinuierlich und vielleicht schneller, als man zunächst denkt. Die Menschen werden nicht überfordert, registrieren motivierende Lernerfolge, gewinnen mehr und mehr Zutrauen in die Arbeitswelt der Zukunft. Sie wird greifbar. Und mit zunehmendem Verständnis der digitalen Strukturen werden sie auch offener für die kulturellen und strategischen Implikationen echter Transformationen.

 

Die Zukunft der Arbeit beginnt mit Führung

Die Tür in diesen Möglichkeitsraum kann nur von den Führungskräften und Gesellschaftern aufgestoßen werden. Jedes Unternehmen muss seinen eigenen Weg finden und für sich entscheiden, in welcher Geschwindigkeit und Tiefe die Arbeitswelt weiterentwickelt werden kann und soll. Das funktioniert nicht auf Knopfdruck, und oft auch erst, wenn Führungskräfte ihr eigenes Selbstverständnis hinterfragen.

Besonders die Generation, die noch im 20. Jahrhundert beruflich sozialisiert worden ist, ist in diesem Kontext gefordert, sich neu zu orientieren. Entscheidungsträger alter Schule müssen ihre Verlustängste – Stichworte sind hier Macht und Status – überwinden und auf eine Kultur des Vertrauens und der Eigenverantwortung hinwirken. Das Prinzip „Anweisung und Kontrolle“ funktioniert nicht mehr und einst vielleicht wertvolle Wissensvorsprünge sind für die digitale Arbeitswelt der Zukunft Gift. Profil gewinnen hingegen Führungskräfte, die sich selbst zurücknehmen und ihren Teams die besten Möglichkeiten sowie notwendigen Ressourcen verschaffen, damit sie erfolgreich arbeiten können. Dadurch werden die Führungskräfte zu Befähigern, „Enablern“, die es Ihren Mitarbeitern erlauben, den Möglichkeitsraum für sich zu erkunden. So können sie ihren eigenen Beitrag zur Wertschöpfung der Zukunft leisten und diese proaktiv beeinflussen.

Vieles hängt davon ab, welche Erfahrungen die Mitarbeiter bislang in einem Unternehmen gemacht haben und welches Zutrauen sie in einen neuen Kurs fassen können. Die Sorge, dass sie mit einem aktiven Beitrag zur Transformation ihren eigenen Arbeitsplatz gefährden, ist nicht zu unterschätzen. Aber Menschen können sich entwickeln. Und viele möchten das auch. Aus ihrer intrinsischen Motivation heraus, oder weil sie verstehen, dass sie für ihren beruflichen Weg neue Kompetenzen erwerben müssen. Aufgabe von Führung ist es, eine Kultur zu schaffen, in der Veränderung als Chance und nicht als Bedrohung wahrgenommen wird. Dazu gehört auch, die Vorteile der Transformation für die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens und die beruflichen Chancen der Mitarbeiter deutlich zu machen. Technologie ist schließlich kein Selbstzweck, sondern nur sinnvoll, wenn sie sich positiv auf die Steuerungsthemen Systeme, Strukturen, Menschen und Führung auswirkt.

Ein Unternehmen in eine bereitwillig lernende Organisation zu verwandeln – das ist mit Blick auf die Zukunft der Arbeit eine Schlüsselaufgabe von Führung. Dabei muss sie mit unterschiedlich ausgeprägter Bereitschaft für den Wandel und verschiedenen Skillniveaus um-zugehen. Eine grundlegende Befähigung aller Mitarbeiter steht am Anfang dieser Entwicklung. Und Führungskräfte sollten von Beginn an genau hinsehen, wer für Veränderungsprozesse wirklich affin ist und die Transformation voranbringt. Zudem sollten sie selbst als Vorbild vorangehen und den neuen Möglichkeitsraum erforschen. Wie gesagt: Der Zug der digitalen Transformation wird nicht mehr stoppen, aber noch haben Sie es in der Hand, wann und wie Sie zusteigen.

 

Redaktionelle Unterstützung: Bettina Dornberg & Christoph Berdi (die „Identitätsstifter“)

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