Knowledge Hiding - Ein Artikel von Max Görner.

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Knowledge Hiding

So beenden Sie die Heimlichtuerei

Wissensmanagement steht bei vielen Unternehmen weit oben auf der Tagesordnung. Völlig zu Recht. Nicht umsonst heißt es: „Wissen ist Macht.“ Übertragen auf die moderne Wirtschaft bedeutet dieses Bonmot des englischen Philosophen Francis Bacon: Wissen erzeugt Wettbewerbsvorteile. Was aber, wenn Mitarbeitende mit ihrem Know-how und ihrem Verständnis von Produkten, Märkten und Prozessen nicht herausrücken wollen? Wenn sie ihren Kolleginnen und Kollegen gegenüber mit Informationen geizen? Wie gut, dass Max Görner, Executive Director bei der Allfoye Managementberatung, sein Wissen gerne teilt. In diesem Beitrag leuchtet er die psychologischen Hintergründe dieser Zurückhaltung aus und gibt Hinweise, wie sich der Wissensaustausch aktivieren lässt.

Jul 5, 2023 9:38:50 AM

Jeder kennt wohl diesen Moment, in dem sich der Zweifel einschleicht und man sich in einem Gespräch, in einem Meeting oder Workshop fragt: „Wie jetzt, mehr hat Kollegin oder Kollege x dazu nicht zu sagen? Da müsste doch jetzt mehr kommen, das könnte uns jetzt wirklich weiterbringen.“ Meistens lässt sich im konkreten Fall nicht ergründen, ob jemand wirklich nicht mehr weiß oder ob Wissen bewusst zurückgehalten wird. Diese Einschätzung bleibt zwangsläufig nebulös, denn man kann niemandem hinter die Stirn schauen.

Aber eines liegt auf der Hand: Mitarbeitende, die bewusst oder unbewusst Wissen bunkern, anstatt es zu teilen, verhalten sich kontraproduktiv. Sie hemmen die kollektive Intelligenz einer Organisation, stören den freien Zugang zu Wissen und vermindern die Qualität des Diskurses.

Individuelles Versteckspiel

Die Wirtschaftspsychologie behandelt dieses Thema unter dem Begriff „Knowledge Hiding“ und versteht darunter drei Phänomene:

  • Sich dumm stellen: Mitarbeitende geben vor, bei spezifischen Fragestellungen über kein weiterführendes Wissen zu verfügen oder sich unter der konkreten Frage nichts vorstellen zu können.
  • Evasive Hiding: Man antwortet ausweichend und unkonkret oder setzt die Diskussion inhaltlich auf ein anderes Gleis. Gegebenenfalls wird versprochen, die Information zu einem späteren Zeitpunkt nachzuliefern, was dann immer weiter hinausgezögert wird.
  • Rationalized Hiding: Vorgebliche Vertraulichkeits- oder Compliancegründe werden ins Spiel gebracht. Das Argument: So gerne man würde, man darf das Wissen einfach nicht weitergeben.

Doch wie immer, wenn Menschen beteiligt sind, ist’s im wahren Leben deutlich komplizierter. Viele Motive sind denkbar, warum Mitarbeitende ihr Wissen lieber für sich behalten. Ein Faktor ist Unsicherheit, also fehlendes Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten. Vielleicht haben diese Beschäftigten im Unternehmen schlechte Erfahrungen gemacht und sind im entscheidenden Moment, als sie sich mal aus der Deckung wagten, nicht wertgeschätzt worden.

Andere setzen ihr Wissen taktisch, manche gar strategisch ein. Wenn sie schon etwas preisgeben müssen, dann im geeigneten Moment und mit maximalem Nutzen für ihren Expertenstatus und ihre Karriere. Wieder andere haben weniger egozentrische Gründe, sondern sehen sich von Digitalisierung, Modernisierung und Künstlicher Intelligenz bedroht. Ihnen erscheint es als sinnvolle Überlebensstrategie, exklusives Wissen aufzubauen und wie einen Trumpf im Ärmel zu behalten, nur für den Fall, dass ihre Position oder ihr Job eines Tages wirklich gefährdet ist.

Und dann sind da noch die Introvertierten. Diese für jedes Unternehmen ungemein wichtigen Menschen vergraben sich lieber konzentriert in ihre Aufgabe; ihre Lösungsbeiträge erschaffen sie bevorzugt im stillen Kämmerlein, nicht im Dialog. Einem etwaigen Knowledge Hiding sind sich in der Regel weder bewusst, noch sehen sie darin ein Mittel zum Zweck.

Diese kleine Tour d´Horizon durch die psychologischen Hintergründe zeigt: Auf der Eins-zu-Eins-Ebene ist dem Problem schwerlich beizukommen. Natürlich sollten Führungskräfte in gravierenden, offensichtlichen Fällen die betreffende Person ansprechen und darauf hinweisen, dass es im Sinne des Teams oder Unternehmens wäre, ihr Wissen mit anderen zu teilen und so die Innovations- und Entscheidungsprozesse voranzutreiben. Aber um die Blockaden aufzulösen und das Wissen der Mitarbeitenden freizusetzen, bedarf es einer ganzheitlichen Herangehensweise, die Führung und Kultur, Strukturen und Systeme eines Unternehmens umfasst.

Das Engagement lohnt sich: Der Lehrstuhl für Wirtschafts- und Organisationspsychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München hat den Stand der Forschung in einem lesenswerten Papier zusammengefasst. Demnach mindert Knowledge Hiding mit der Zeit die Leistung und Kreativität einer Organisation, verschlechtert die Beziehungen innerhalb der Belegschaft und lässt die Mitarbeitenden vermehrt an Kündigung denken.

Knowledge Hiding vermeiden

Zunächst sollten Führungskräfte mit gutem Beispiel vorangehen, transparent kommunizieren, neue Informationen zügig weitergeben sowie ihre Expertise und Einschätzungen teilen. Gleichzeitig darf an ihrer Erwartung, dass die Mitarbeitenden ihr Wissen bereitwillig teilen, kein Zweifel bleiben.

Auch kulturell ist dem Knowledge Hiding entgegenzuwirken. Es liegt auf der Hand, dass ein offenes, angstfreies Miteinander die Menschen ermuntert, ihr erfolgskritisches Wissen ohne Vorbehalte einzubringen. Die Wirkung psychologischer Sicherheit ist hier nicht zu unterschätzen. Gleiches gilt für ein Umfeld, in denen die Fähigkeiten der Menschen anerkannt und die Ergebnisse ihrer Arbeit sichtbar gemacht werden.

Explizite Lernmeetings, in denen Teams und Mitarbeitende zwanglos zusammenkommen und sich austauschen, und Reflexionsrunden sind geeignete Anlässe, um einen Diskurs auf Augenhöhe in Gang zu setzen und Hemmschwellen abzubauen. Ebenso sind spezifische Anreizsysteme – etwa Prämien oder ein Award – denkbar. Warum nicht den „Wissens-Champion des Monats“ küren? Im Zweifel sollte das Thema „Knowledge Hiding“ in größerer Runde wie Town-Hall-Meetings, in Change-Management-Prozessen oder in der internen Kommunikation aktiv gespielt werden. So werden die Mitarbeitenden dafür sensibilisiert, dass Zurückhaltung in puncto Information schädlich ist, und ein wenig bei ihrem Berufsethos gepackt.

Nicht zuletzt ist ein systematisches und durchdachtes Wissensmanagement ein wirksames Gegenmittel gegen das Versteckspiel mit dem Know-how. Wissensdatenbanken, Wikis, Kollaborationstools und soziale Plattformen erleichtern das Teilen. Grundsätzlich sollten die Systeme einfach und niederschwellig sein, damit sie auch aktiv genutzt werden. Zu gut gemeint kann in diesem Kontext auch „zu kompliziert“ bedeuten. Das gilt auch für das Dokumentenmanagement. Eine moderne Organisation benötigt Regeln und Prozeduren für die Ablage von wichtigen Unterlagen, etwa Projektdokumentationen, um dieses Wissen für die Zukunft nutzbar zu machen.

 

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„Eines liegt auf der Hand: Mitarbeitende, die bewusst oder unbewusst Wissen bunkern, anstatt es zu teilen, verhalten sich kontraproduktiv. Sie hemmen die kollektive Intelligenz einer Organisation, stören den freien Zugang zu Wissen und vermindern die Qualität des Diskurses“, so Max Görner.

Wissensverluste im demografischen Wandel

In Zeiten des Fachkräftemangels sollten Unternehmen einen sechsten Sinn für ihre Wissensschätze entwickeln. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund des demografischen Wandels. Mit den Boomers marschiert in diesen Jahren eine ganze Generation zur Tür hinaus in die Rente und nimmt ihr über Jahrzehnte gebildetes Wissen einfach mit. In der Beratungspraxis begegnet uns dieser Sonderfall des Knowledge Hidings immer wieder.

Allzu viele ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter scheuen sich in der Endphase ihrer Karriere, ihr Wissen weiterzugeben – aber sie werden auch nicht motiviert, dies zu tun. So behalten sie ihr implizites Wissen über die Eigenheiten des Unternehmens, der Märkte und Produkte ebenso für sich wie ihre explizite Expertise. Beides ist, sobald sie ihren Schreibtisch geräumt oder von der Maschine zurückgetreten sind, für immer verloren.

Hand aufs Herz, viele Unternehmen haben sich dieser Herausforderung noch gar nicht gestellt. Generationenübergreifende Projekte, in der von der Gen Z bis zu den Boomers alle Alterskohorten zusammenarbeiten, sind deshalb Gold wert. Alle Beteiligten können viel voneinander lernen und das Knowledge Sharing kommt in Schwung. Es lohnt sich. Denn wie sagte der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler so treffend? „Wissen ist der einzige Rohstoff, der auf unserer Erde unbeschränkt zur Verfügung steht und der sich durch Gebrauch nicht abnutzt, sondern sogar vermehrt.“

 

Redaktionelle Unterstützung: Bettina Dornberg & Christoph Berdi (die „Identitätsstifter“)

Spitzengesprächs-Replay mit Dr. Thomas M. Fischer und Katharina Roehrig

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