Führung und Kultur - Ein Artikel von Ines Wormuth.

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Wie Motivation dem Erfolg nicht im Weg steht

Mit ihren Incentive-Systemen ignorieren manche Unternehmen fundamentale Erkenntnisse der Psychologie. Das Ergebnis in diesen Unternehmen: Führungskräfte erreichen ihre Mitarbeitenden nicht mehr und gut gemeinte Kulturentwicklungen verpuffen wirkungslos. Ines Wormuth, Psychologin und Consultant der Allfoye Managementberatung, hat sich deshalb dem „Mythos Motivation“, Titel eines Klassikers der Managementliteratur, gewidmet und die einschlägige Wissenschaft zum Thema durchforstet. Sie zeigt auf, was Menschen wirklich motiviert, wie Unternehmen daran anknüpfen können und welche Rolle die Gen Z dabei spielt.

Aug 24, 2023 2:37:40 PM

Warum halten Hochleistungssportler:innen trotz Verletzungen, sportlicher Misserfolge und hoher privater Kosten an ihrer Karriere fest? Wieso haben einige Menschen ein höheres Durchhaltevermögen und mehr „Biss“ als andere? Unter welchen Bedingungen wird ihre intrinsische Motivation angesprochen? Inwieweit ist die Persönlichkeitsstruktur ein maßgeblicher Einflussfaktor, und inwiefern lässt sich das Verhalten dennoch extern beeinflussen?

Das sind spannende Fragen, die mich im Psychologiestudium beschäftigt haben und die sich direkt mit der modernen Arbeitswelt verbinden lassen – etwa mit Blick auf Hochleistungsteams, Incentives, Unternehmenskultur oder auf den Generationswechsel von den Boomern zur Generation Z.

Den Kern der Herausforderung hat der Managementautor Reinhard K. Sprenger bereits vor mehr als 30 Jahren in seinem Bestseller „Mythos Motivation“ offengelegt. Seine These ist, dass jeder Mensch grundsätzlich leistungsbereit sei und in seinem Aktionsradius nur durch schlechte Führung und inadäquate Strukturen eingeschränkt werde. Tradierte Motivationssysteme wie höhere Gehälter, Prämien, Dienstwagen oder Benefits wie Mitgliedschaften in Fitnessstudios verfehlten die erhoffte Wirkung. Die Unternehmen, so Sprenger, halten mit der individuellen Werteentwicklung der Menschen und dem Wertewandel in der Gesellschaft nicht Schritt. Stattdessen setzen sie weiter auf die überholten „fünf B der Motivation“belohnen, belobigen, bestechen, bedrohen, bestrafen.

Wenn Incentives nicht mehr wirken

Diese leider gängige Praxis wird in der Psychologie unter der Überschrift operante Konditionierung behandelt. Sie geht zurück auf den Behaviorismus und die Theorie erlernbarer Reiz-Reaktions-Muster, wie sie von Psychologen wie Iwan P. Pawlow (1849 – 1936) oder Burrhus F. Skinner (1904 – 1990) vertreten wurden. Anders gesagt: Die Menschen werden mit positiven und negativen Anreizen in Richtung des erwünschten Verhaltens bewegt. Dass dieser Vorgehensweise Grenzen gesetzt sind, liegt auf der Hand – mit der Zeit findet eine Gewöhnung statt und der lenkende Effekt der Belohnung nimmt ab. Die Ansprüche an die Gratifikationen steigen zudem mit Karriere und Wohlstand; das Anreizsystem erschöpft sich in dieser Aufwärtsspirale irgendwann.

Noch gravierender wirkt sich aus, dass in den heute weit verbreiteten Incentivesystemen die Motivation externalisiert wird. Worin der Konstruktionsfehler liegt, illustriert ein berühmt gewordenes Beispiel des US-amerikanischen Bildungs- und Erziehungsexperten Alfie Kohn. Folgende Situation:

Ein älterer Herr wird regelmäßig von den Nachbarskindern geärgert und beschimpft. Eines Tages bietet er den Kindern, noch bevor sie ihn hänseln können, einen Euro dafür an, dass sie ihn ärgern. Sie willigen ein und beschimpfen ihn. Danach verspricht er ihnen 50 Cent, wenn sie morgen wiederkämen und ihn erneut beschimpften. So geschieht es. Als er den Kindern für den nächsten Tag 20 Cent dafür offeriert, dass sie ihn wieder beleidigen, widersetzen sie sich: Für so wenig Geld würden sie ihn nicht beschimpfen. Der Mann hat die Kinder mit extrinsischer Motivation demotiviert. Ihre intrinsischen Beweggründe, der Nervenkitzel und das Spiel mit Geduld und Großmut des Mannes, werden überschattet vom Belohnungsmuster.

Dieses Phänomen wurde in zahlreichen Studien mit verschiedenen Kontexten repliziert und stellt den Wert klassischer Anreizsysteme infrage. Der wirksamste Antrieb eines Menschen, bis hin zur Passion und Begeisterung für ein höheres Ziel, kommt von innen und wird intrinsisch aus seiner Sozialisierung, seinen Werten, Motiven und Überzeugungen gespeist.

 

Anerkennung, Verantwortung und Autonomie

Bereits Ende der 1950er-Jahre sorgte die sogenannte „Pittsburgh-Studie“ des Professors für Arbeitswissenschaft und Klinischer Psychologie Frederick Herzberg (1923 – 2000) für Aufsehen. Sie postuliert, dass die Zufriedenheit von Mitarbeitenden von zwei Kriterien bestimmt wird: den Kontext- und den Kontentfaktoren.

Die Kontextfaktoren werden auch als „Hygienefaktoren“ bezeichnet und umfassen das Gehalt, etwaige Statussymbole und die Sicherheit des Arbeitsplatzes. Sie werden von den Beschäftigten als Basisleistungen erwartet. Sobald ein Unternehmen diese Ansprüche nicht mehr erfüllen kann, breiten sich Frust und Unzufriedenheit aus.

Das Problem ist: Selbst, wenn die Kontextfaktoren erfüllt werden, verweilen die Mitarbeitenden lediglich auf „normal Null“. Echte Zufriedenheit, hohe Motivation und außergewöhnliche Leistungsbereitschaft entstehen nur durch Kontentfaktoren. Entscheidend sind hierbei die Inhalte der Arbeit, erlebte Anerkennung und übertragene Verantwortung.

Es passt in dieses Bild, dass die wissenschaftliche Forschung über intrinsische Motivation an einem Punkt zusammenläuft: Autonomie. Und diese meint keineswegs Flexibilität im Sinne von Gleitzeit oder Remote Work. Vielmehr sehnen sich die Menschen nach Gestaltungsfreiheit, nach Eigenverantwortung und Vertrauen. Sie möchten ihre persönliche Kompetenz entfalten und ihre Wirksamkeit erleben. Produktivität ohne Sinn und Werte kommt für sie nicht mehr infrage. Für den US-amerikanischen Autor Daniel H. Pink geht es dabei um „Purpose“, „Autonomy“ und „Mastery“; Sinnhaftigkeit, Autonomie und die eigene Kompetenz in Form von Fähigkeiten und Wissen.

Dass sich dieser Dreiklang mit den vieldiskutierten Bedürfnissen der Gen Z deckt, ist offenkundig. Die Gen Z steht – wie jede andere Alterskohorte vor ihr auch – vor der Herausforderung, ihre Vorstellung von Arbeit mit den etablierten Unternehmen und arrivierten Kolleg:innen in Einklang zu bringen. So schätzt die Gen Z durchaus Zielvorgaben, aber wie und mit wem sie von A nach B gelangt, möchte sie selbst entscheiden. Genauso ist die Karriere für die Nachwuchskräfte eine sehr persönliche Angelegenheit. Sie geben nicht viel auf vorgezeichnete Aufstiegspfade, sondern möchten an Herausforderungen wachsen. Und je freier die Optionen in einem Unternehmen sind, desto wohler fühlen sie sich.

Die Gen Z strebt eine Ausgewogenheit ihrer Lebensbereiche an, möchte an etwas Sinnhaftem und Nachhaltigem teilhaben und wünscht sich immer wieder neue Chancen für dem eigenen Lebensweg. Damit ist sie keineswegs allein. In dem Podcast von „Fast & Curious“ mit dem Titel „Alles über die GenZ“ hörte ich neulich die treffende Formulierung: „Die Gen X möchte es auch. Die Gen Y spricht es an. Die Gen Z entschuldigt sich nicht mehr dafür.“

Es klingt daher nach einer guten Idee, die Diskussion über wirksame Motivation mit der Wertewelt der Gen Z zu verknüpfen. Sie führt den Unternehmen die notwendige Modernisierung von Arbeit, Führung und Kultur vor Augen.

Führung und Kultur - Ein Artikel von Ines Wormuth.

„Menschen sehnen sich nach Gestaltungsfreiheit, nach Eigenverantwortung und Vertrauen. Sie möchten ihre persönliche Kompetenz entfalten und ihre Wirksamkeit erleben. Produktivität ohne Sinn und Werte kommt für sie nicht mehr infrage“, so Ines Wormuth.

Die Impulse der Gen Z

Tendenziell sind die jungen Leute in einer Zeit relativer wirtschaftlicher Sicherheit aufgewachsen und genossen große Freiheiten. Sie trauen sich, bohrende Fragen zu stellen und wenden sich tabuisierten Konflikten zu: Gender, sexuelle Orientierung, Diskriminierung, Rassismus, Klimawandel und Umweltzerstörung. Ihre teils dezidierten Ansichten dazu geben sie nicht am Werkstor ab; sie schwingen in ihrer Arbeit, in ihren Entscheidungen und Handlungen immer mit.

Glücklicherweise interpretieren immer mehr Unternehmen die klaren Rückmeldungen der Gen Z nicht als unverschämte Grenzüberschreitungen, sondern als transformativen Impuls zu einer aktivierenden, Motive und Werte adressierenden Arbeitswelt. Frischer Wind kann eben manchmal zugig sein, aber nur wenn's klappert, repariert man endlich die Fensterläden.

Mit dem vielerorts vorherrschenden Fachkräftemangel ist eine Situation entstanden, die vielen Unternehmen keine Wahl lässt, als diesen Generationswechsel aktiv zu gestalten und ihre Attraktivität als Arbeitgeber neu zu definieren. Schließlich scheiden die Boomer, die heute viele Bereichs-, Abteilungs- und Projektleiter:innen stellen, in absehbarer Zeit aus. Wer bringt langfristige Strategieentwicklungen und Transformationsvorhaben dann zu Ende? Jüngere Mitarbeitende müssen gewonnen werden und in die Prozesse hineinwachsen können. Auch das ist ein Motivationsthema, das über verschiedene Konzepte zur Generationendiversität in der Führung adressiert werden kann:

  • Beim Co-Leadership teilen sich junge Mitarbeitende eine Position mit einer erfahrenen Führungskraft. Der Nachwuchs wächst fachlich wie disziplinarisch schrittweise in die verantwortungsvolle Rolle hinein.
  • Rotating Leadership bedeutet, dass die Führung für einen festgelegten Zeitraum von einer Person übernommen und dann auf die nächste Person übergeht.
  • Mit der Methode „10 unter 30“ werden zehn Mitarbeitende unter 30 Jahren in Führungsrunden und -gremien miteinbezogen, um die Multiperspektivität zu erhöhen und neue Ideen zu generieren.

Apropos Führung: Jüngste Studien wie der Gallup Engagement Index von 2022 belegen einmal mehr, dass die meisten Chef:innen ihre Mitarbeitenden überhaupt nicht mehr erreichen und in die innere Kündigung treiben. Nur 25 Prozent der Befragten zeigen sich mit ihren Vorgesetzen rundum zufrieden. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangt Capgemini. Demnach sind rund drei Viertel der Arbeitnehmenden mit ihrem aktuellen Arbeitgeber unzufrieden – und nur neun Prozent der Führungskräfte nehmen das überhaupt wahr.

Angesichts dieser Entfremdung kommt es deshalb auf eine Führungskultur an, die sich mit den Menschen auseinandersetzt, aktiv den Dialog sucht, sich als „Enabler“ und Sparringspartner versteht. Entfaltungsräume schaffen, die Selbstorganisation fördern und den Teams den Rücken freihalten, nicht huldvoll belobigen, sondern die Freude über gute Resultate teilen – so wird intrinsische Motivation freigesetzt.

Der US-amerikanische Unternehmer und Managementautor Kenneth H. Blanchard spricht in diesem Kontext von „situativer Führung“, die je nach Aufgabe und Situation die Mitarbeitenden gemäß ihrer Fähigkeiten gezielt adressiert. Kurzum: Gefragt sind Bedingungen und ein Klima, unter denen erfüllende Arbeit möglich ist. Der Gestaltungsraum ist groß, schließlich gibt es zwischen dem Schrecken des Mikromanagements von peniblen Führungskräften und absoluter Selbstorganisation der Mitarbeitenden viele Abstufungen.

Vom Mythos Motivation zur Realität

Zweifelsfrei führt der Weg zur Motivation über die intrinsischen Motive der Menschen und die sind breiter gefächert, als es ein Arbeitsplatz abbilden kann. Was begeistert sie? Was treibt sie an? Womit möchten sie sich verbinden? Wenn Unternehmen auf diese Fragen nicht eingehen, weichen die Mitarbeitenden fast zwangsläufig aus und stecken ihre Kreativität und Energie in ihr Privatleben.

Reinhard K. Sprenger bringt es auf den Punkt: „Das ist der Kern des Wertewandels: eine gleichsam ,unfreiwillige’ kompensatorische Werteerfüllung in der Freizeit.“ Dabei sei das Bedürfnis viel ausgeprägter, im Unternehmen mit Sinn und Freude etwas zu leisten. Solches Engagement benötigen die Unternehmen mehr denn je.

In absehbarer Zeit werden Digitalisierung, Automatisierung und KI dazu führen, dass sich die Unternehmen über Effizienz und Produktivität nicht mehr im Wettbewerb unterscheiden können. Für die Unternehmen der Zukunft liegt der USP eindeutig in hoch motivierten Menschen.

 

Redaktionelle Unterstützung: Bettina Dornberg & Christoph Berdi (die „Identitätsstifter“)

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