In mehr als 30 Jahren als kaufmännischer Geschäftsführer und Chief Financial Officer (CFO) in mittelständischen Familienunternehmen bin ich nie auf kurzlebigen Erfolg aus gewesen. Ich wollte immer miterleben, wie die Früchte der Arbeit geerntet werden. So auch bei der Unternehmensgruppe EJOT, wo ich seit nunmehr 19 Jahren als CFO tätig bin und dazu beitragen konnte, den Umsatz zu vervierfachen. Mich interessieren strategisches und langfristiges Wachstum, Internationalisierung und Wettbewerbsfähigkeit. Und mir liegt viel an der Kultur und den Menschen im Unternehmen. Kurzum, CFO zu sein, bedeutet für mich: gestalten. Wobei ich das große Glück habe, mit einem teamorientierten geschäftsführenden Gesellschafter zusammenarbeiten zu dürfen.
Insofern stimme ich mit Dr. Thomas M. Fischer, CEO der Allfoye Managementberatung, völlig überein. Er hat die CFOs in einem Beitrag für dieses Onlinemagazin aufgefordert, das „F“ zeitweilig mal zu vergessen. Und damit hat er recht: Das nach wie vor gepflegte Selbstverständnis mancher CFOs, sich allein für die Zahlen zuständig zu fühlen, ist in Wahrheit eine Selbstbeschränkung.
CFOs bekleiden eine zentrale Position im Unternehmen und sind in der Regel in alle Investitionsentscheidungen involviert. Sie entscheiden mit, in welche Länder expandiert wird und wie die Produktportfolios ausgebaut werden. Natürlich sind CFOs zuvorderst für die Key Ratio und die Rentabilität verantwortlich, aber sie können über ein klassisches Rollenverständnis hinauswachsen und auf die Softfacts eines Unternehmens einwirken. Darunter verstehe ich eine chancen- und werteorientierte Kultur, die unter anderem die Innovationsfähigkeit steigert, die Mitarbeitenden enger ans Unternehmen bindet und das Employer Branding bereichert.
Aus dieser Denkweise ist unsere jüngste Idee entstanden, von der die Belegschaft, das Unternehmen und die Umwelt profitieren: ein Programm zur Kapitalbeteiligung der Mitarbeitenden, das mit unseren Klimaschutzzielen verknüpft ist. Ab dem Jahr 2024 berichtet EJOT nach der CSRD-Direktive der Europäischen Union. Bis zum Jahr 2035 will das Unternehmen klimaneutral wirtschaften. Darin erkenne ich keine Bürde, sondern Chancen. Mit einem kleinen Team habe ich deshalb intensiv an einem Modell gearbeitet, von dem wir sowohl die Gesellschafter und den Beirat des Unternehmens sowie die IG Metall überzeugen konnten. Letzteres ist ein unabdingbarer Schulterschluss, da wir sozialversicherungspflichtige Lohn- und Gehaltsbestandteile einbeziehen, die von den Gewerkschaften verständlicherweise besonders geschützt werden.
So funktioniert das Beteiligungsmodell
Bei EJOT kann sich jedes Belegschaftsmitglied mit maximal 500 Euro pro Jahr in Form von Genussrechtskapital beteiligen. EJOT verdoppelt diese Summe, wenn die jährlichen Klimaziele erreicht werden. Der Betrag, den der Arbeitgeber beisteuert, bleibt steuer- und sozialversicherungsfrei. Die Eingaben der Mitarbeitenden sind lediglich steuerfrei. Die Gesamtsumme wird dann pro Jahr und abhängig von der Ergebnissituation des Unternehmens verzinst.
Angelegt ist das Beteiligungsmodell auf fünf Jahre. Jeder kann also fünfmal 500 Euro einbringen und maximal die gleiche Summe von uns als Arbeitgeber erhalten. Insgesamt geht es um 5.000 Euro. Die Zinsen, auf die 25 Prozent Kapitalertragsteuer anfallen, werden jährlich ausgeschüttet. Selbstredend wissen wir, dass das Geld nicht bei allen Mitarbeitenden locker sitzt, insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Inflationsraten. Deshalb sieht unser Modell verschiedene Optionen vor, mit denen Mitarbeitende ihren Anteil einbringen können. Dazu gehören Überstunden und „Seneca plus“, unser variabilisiertes Weihnachtsgeldprogramm, das wir seit der Finanzkrise erfolgreich praktizieren.
Als international agierendes Unternehmen haben wir die Kolleginnen und Kollegen im Ausland von Beginn an in das Projekt einbezogen. Die Genussrechtsidee lässt sich aufgrund der jeweiligen Steuersituation nicht in allen Ländern umsetzen; deshalb wurden dort Bonusmodelle eingeführt. Die Boni sind von den Nachhaltigkeitszielen im jeweiligen Land sowie in der gesamten Gruppe abhängig.
Für das Beteiligungskonzept wirbt der prominente Meteorologe und Fernsehmoderator Karsten Schwanke als Schirmherr. Er hält Vorträge, hat ein Video gedreht und ist ein echter Sympathieträger.
Die über Wochen laufende Kommunikationsoffensive hat sich ausgezahlt: Zur Premiere im September 2022 hat EJOT in der vier Wochen währenden Zeichnungsfrist allein in Deutschland 1.100 Mitarbeitende für das Programm gewonnen. Das ist eine Quote von 53 Prozent. Bei der Neuauflage in diesem Jahr war die Nachfrage ebenso hoch; es ist tatsächlich die gleiche Quote wie im Vorjahr erreicht worden.
Da EJOT das Ziel, im Jahr 2022 insgesamt 6.000 Tonnen CO₂ einzusparen, tatsächlich erreicht hat, wurden die Arbeitnehmeranteile wie geplant verdoppelt. So befinden sich rund eine Million Euro im Topf, die wir komplett in Umweltprojekte investieren. Mit diesen nachhaltigen Investitionen sparen wir signifikant Energiekosten ein – der Arbeitgeberzuschuss des Programmes finanziert sich also tatsächlich bereits im ersten Jahr zur Hälfte, in Zukunft hoffentlich zu 100 Prozent selbst.
„Natürlich sind CFOs zuvorderst für die Key Ratio und die Rentabilität verantwortlich, aber sie können über ein klassisches Rollenverständnis hinauswachsen und auf die Softfacts eines Unternehmens einwirken. Darunter verstehe ich eine chancen- und werteorientierte Kultur, die unter anderem die Innovationsfähigkeit steigert, die Mitarbeitenden enger ans Unternehmen bindet und das Employer Branding bereichert", so Wolfgang Bach.
Die Schwarmintelligenz nutzen
Zentraler Bestandteil des Konzepts ist ein weltweiter Ideenpool. Alle Mitarbeitenden sind aufgerufen, Vorschläge für mehr Nachhaltigkeit und für eine bessere CO₂-Bilanz einzureichen. Bereits im ersten Anlauf haben wir über 600 Verbesserungsvorschläge eingesammelt und ebenso schnell wie unbürokratisch validiert.
Viele Vorschläge können direkt umgesetzt werden, wobei die Spannweite der Umweltprojekte enorm ist: Nachts beleuchten wir unsere Fabriken nicht mehr. Die Mitarbeitenden organisieren vermehrt Fahrgemeinschaften über eine App. Mehrere Photovoltaikprojekte erhöhen den Anteil an erneuerbaren Energien in unserem Mix. Wir werden die Fabrikzäune mit Kollektoren ausrüsten und überdachen Parkplätze, um weitere Flächen für Sonnenenergie zu generieren. Wenn die Fabriken gelüftet werden, fährt die Heizung jetzt digital gesteuert herunter. Das ist alles keine Raketenwissenschaft, zeigt aber, wie viele gute Ideen zusammenkommen, wenn die Menschen motiviert über Umweltschutz nachdenken.
Ein anderes Kaliber haben die CO₂-Einsparungen in der Intralogistik: Ein Team hat sich die Leerfahrten von Lkws zwischen unseren Werken in Nordrhein-Westfalen, Thüringen und Polen strategisch vorgenommen und konnte sie deutlich reduzieren. Zudem haben wird die Auslieferung für die osteuropäischen Länder von Deutschland nach Polen verlagert, was die Zahl der Lkw-Fahrten weiter verringert und viele Touren verkürzt.
Das alles ist erst der Anfang einer kulturellen und „grünen“ Transformation bei EJOT: Von Beginn an zahlt das Beteiligungsmodell auf unsere ambitionierten Umweltziele nach Scope 1 (direkte Emissionen), Scope 2 (indirekte Emissionen durch Energieeinsatz) und Scope 3 (Emissionen in der Lieferkette) ein. Unternehmerisches Denken der Mitarbeitenden wird gefördert. Das Programm unterstützt sie in der nachhaltigen Vermögensbildung und bringt die Wertschätzung des Unternehmens gegenüber den Beschäftigten zum Ausdruck. Arbeitsmotivation und -zufriedenheit steigen – damit bleibt EJOT wettbewerbsfähig und sichert Arbeitsplätze. Getreu dem Motto „Der Gegenwart und der Zukunft verpflichtet“ verzeichnet EJOT durch diese Initiative einen deutlichen Imagegewinn.
Im Employer Branding und im Wettbewerb um begehrte Fachkräfte zeigen sich bereits positive Effekte. Junge Bewerber und Bewerberinnen aus der Gen Z fragen spätestens im dritten Satz, ob sie an dem Modell teilhaben können. Besonders freut uns, dass die Idee auf unserem jährlich stattfindenden Lieferantentag ein bemerkenswertes Echo gefunden hat. Das Treffen haben wir unter das Thema Nachhaltigkeit gestellt und angekündigt, dass EJOT ab 2024 Jahr den nachhaltigsten Lieferanten küren wird. Zudem haben wir alle Lieferanten mit unserem Konzept vertraut gemacht. Die ersten Partner beginnen bereits, das Beteiligungsmodell zu adaptieren – ein wichtiger Impuls für tragfähige Kunden-Lieferanten-Beziehungen.
Um zur eingangs diskutierten Rolle des modernen CFOs zurückzukommen: Letztlich wirft unser Vorgehen die Frage auf, inwieweit sich Geschäftsführungen und insbesondere die CFOs von der Vorstellung lösen können, dass sich jede Maßnahme im Vorhinein komplett durchrechnen lassen muss. Meine Haltung dazu ist, dass CFOs bestimmte Entscheidungen auch mit 70 oder 80 Prozent an Information treffen und auf ihre Intuition sowie ihren gesunden Menschenverstand vertrauen sollten. Es zahlt sich aus!
Redaktionelle Unterstützung: Bettina Dornberg & Christoph Berdi (die „Identitätsstifter“)
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May 3, 2023 12:00:49 PM